Alexander Bohn   Anke Breitkreutz   Michael Malzbender
Fachärzte für Innere Medizin mit hausärztlicher Versorgung

Das Paradox: Kontrolle ohne Kontrolle
Deutschland ist bekannt für ein hohes Bedürfnis nach Ordnung, Sicherheit und Regelkonformität (z. B. DIN-Normen, Datenschutz, Verwaltungsvorschriften), sowie dem Misstrauen gegenüber Kontrollverlust, besonders bei Technologie, Globalisierung oder Gesundheit. Aber gleichzeitig auch für eine Überregulierung, bei der Kontrolle oft simuliert wird, ohne wirklich wirksam zu sein. Keines Beispiel gefällig? In der Pandemie wollte man alles dokumentieren – Impfstatus, Infektionsketten, Genesungszahlen – aber die Datengrundlage war lückenhaft, uneinheitlich, verspätet. Trotzdem wurde auf dieser Basis mit großem Ernst „gesteuert“. 
Kultureller Hintergrund: "German Angst" trifft Bürokratiedenken

"German Angst" meint die kulturell tief verankerte Neigung, Risiken zu überschätzen und Kontrollmechanismen dagegen zu entwickeln. Der Wunsch nach Perfektion führt oft zu komplizierten Regeln, aber nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen. In der Datenwelt führt das zu einem Phänomen, das man nennen könnte "Scheinkontrolle durch Pseudodaten". Man fühlt sich als Kontrollfreak – aber kontrolliert in Wahrheit nicht die Realität, sondern eine statistische Fiktion, die einem das Gefühl von Handlungsfähigkeit gibt.
Typisch deutsch – oder globales Problem

Andere Länder wie Estland oder Dänemark setzen radikal auf digitale Realität – was ist, wird erfasst, verarbeitet, genutzt. In Deutschland herrscht dagegen eine Art "digitaler Dualismus":

  • Analog erfassen (z. B. Arztbriefe per Fax)
  • Digital kontrollieren wollen (z. B. Wirtschaftlichkeitsprüfung durch Kassen)
  • Vertrauen aber weder dem einen noch dem anderen

Fazit
Deutschland leidet an einer Kultur der Kontrolle ohne valide Datenbasis – und das ist paradox.
Diese kulturelle Konstellation erzeugt ein Misstrauen (z. B. gegenüber ePA oder TI), gleichzeitig eine Frustration und eine Scheinsicherheit, die in Krisen wie der Pandemie brandgefährlich werden kann.


Daten, Kontrolle – und was wir als Hausarztpraxis daraus lernen
In der Corona-Pandemie haben wir erlebt, wie wertvoll verlässliche Informationen für medizinische Entscheidungen sind – und gleichzeitig, wie schwierig es war, an belastbare Daten zu kommen. Wer war wirklich infiziert? Wer schwer erkrankt? Wie wirksam war die Impfung? Die Antworten waren oft vage – trotz einer Flut an Statistiken.
Was mich besonders beschäftigt: Während wir als Ärztinnen und Ärzte in der Versorgung mit unsicheren Grundlagen arbeiten mussten, scheinen Krankenkassen heute einen sehr genauen Einblick in unser Verordnungsverhalten und die Krankengeschichte unserer Patienten zu haben. Wie passt das zusammen?
Das große Versprechen der Digitalisierung – etwa durch die elektronische Patientenakte (ePA) – bleibt bisher unerfüllt. Obwohl viele Patientinnen und Patienten ihre Zustimmung gegeben haben, scheitert die Nutzung häufig daran, dass zusätzliche Apps heruntergeladen oder technische Hürden überwunden werden müssen. Die Daten wären da, aber der Zugriff fehlt. Das ist ein Paradox, das vielen im Gesundheitswesen begegnet:
Wir sollen kontrollieren, aber bekommen selbst kaum Einblick.
In unserer Hausarztpraxis erleben wir täglich, wie wichtig gute Kommunikation, kontinuierliche Begleitung und Vertrauen sind. Dafür brauchen wir keine riesigen Datenmengen, sondern sinnvolle Informationen – zur richtigen Zeit, für die richtigen Entscheidungen.
Die Diskussion um Datenschutz, Digitalisierung und Datennutzung ist wichtig. Aber sie muss ehrlich geführt werden. Nicht zwischen Illusionen von Kontrolle und Realität von Zettelwirtschaft, sondern mit Blick auf das, was unseren Patienten wirklich hilft.
Ihr Alexander Bohn
Facharzt für Innere Medizin
Hausärztlich-internistische Praxis Berlin-Britz

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